Frage zum "Üben im Flow"

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mygga
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Frage zum "Üben im Flow"

Beitrag von mygga »

Da ich momentan zwei Wochen sehr viel Zeit zu Hause haben werde, habe ich mir das Konzept des "Üben im Flow" wieder ausgegraben.

Wenn ich das richtig verstanden habe, werden neue Stücke bzw. Passagen erarbeitet, indem man erst mal nur ganz frei die Melodie/Tonfolge lernt und sich dann schrittweise mehr und mehr den Tonwerten, der Dynamik und den übrigen Interpretationsvorschriften annähert, also "dem, was da steht".

Finde ich an sich ja spannend. Mir stellt sich nur die Frage: Wie hoch ist das Risiko, dass ich mir beim anfänglichen sehr freien Zugang etwas Falsches aneigne (z.B. "eigene" Notenwerte) und das hinterher nicht mehr rausbekomme? Oder wenn ich eine Passage vereinfacht übe, ob dann hinterher der Umstieg auf das komplexe Original noch klappt oder ob die vertrautere, zuerst gelernte Vereinfachung doch wieder durchschlägt?

Hat jemand Erfahrung mit dem Üben im Flow und kann mir was dazu sagen?
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Irmtraud
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Re: Frage zum "Üben im Flow"

Beitrag von Irmtraud »

Das ist eine ganz schwierige Frage.
Manchmal klappt es, manchmal aber auch nicht. Wenn ich Begleitmuster in der linken Hand zunächst vereinfache, fällt es mir sehr schwer, diese später zu verändern.
Die Frage ist aber, was für einen selbst im Vordergrund steht. Das komplexe Original spielen zu können, oder die Freude am entspannten Spielen. :_smile_:
Nea
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Re: Frage zum "Üben im Flow"

Beitrag von Nea »

In der Theorie sollte das nicht passieren. Wenn ich das Flow-Konezpt richtig verstanden habe, versucht man durch die einfacheren Aufgaben/Aufgabenstellung = vereinfachte Stelle oder Stück, die volle Aufmerksamkeit auf ein lösbares Problem (leichtere Stelle) zu lenken. Wenn man sich dazu voll auf ein Problem konzentriert (im Flow in die Problemlösung eintaucht), löst man eine solches Problem relativ zielgerichtet auch. Dann sollte man so motiviert sein, die Stelle wieder auf einem schwereren Level (Zwischenschritt oder finaler Schritt, die schwere Stelle) zu üben. Die Motivation/positive Grundstimmung das man die Stelle ja bereits auf dem niedrigerem Niveau gelernt hat, nimmt man mit. Sie ermöglicht einem, in den Flow zu kommen.

Dann übt man plötzlich die schwere Stelle mit Konzentration und positiver Motivation (aber eben nicht Übermotivation). Die einfacheren Schritte sollen, so verstehe ich das Üben mit dem einfacheren Beispiel, dazu führen, dass man die Angst odere anderen negativen Gefühle oder auch Ablenkung vor der schweren Stelle/dem schweren Stück überwindet, die das Lernen behindern. Das einfachere Beispiel stellt sicher, dass es so kommt.

Motivation ist hier so verstanden, dass man sagt, ich habe die einfachere Version erfolgreich gelernt, jetzt schaffe ich auch die schwerere. Die negativen Gefühle/Gedanken (Angst/Unbehagen vor dem Erlenenen der schweren Stelle) sind weg. Man geht voll konzentriert in einer positiven Grundstimmung (Flow) an die schwerere Stelle und übt diese nun wie die leichtere Version davon. Das (also die positive und konzentrierte Lerngrundstimmung) ist eine sehr gute Voraussetzung, eine schwere Stelle effizent zu lernen.

Ich fand dieses Referat dazu (7 Saiten) recht hilfreich: https://www.musikschulen.de/medien/doks ... g08_16.pdf

So würde ich die Frage, dass wenn man im Flow übt, die einfachere Version nicht durchschlägt. Der Flow ist nur ein Mittel zum Zweck des effizienteren Übens. Die einfachere Stelle als erster Schritt soll es einem nur erleichtern, in den Flow zum kommen. Man kommt mit dem Flow selbst gezielter zum Ziel (z. B. dem Erlernen einer schweren Stelle).
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mygga
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Re: Frage zum "Üben im Flow"

Beitrag von mygga »

Danke für den Link. Das ist das Dokument, das ich gestern durchgearbeitet habe und das wohl sein Konzept zusammenfasst. Wobei ich da noch spannend finde: er ist Geiger, hat also nicht das Problem der Koordination von rechter und linker Hand. Also geht er darauf gar nicht ein, wie man die zusammenbringt.
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Re: Frage zum "Üben im Flow"

Beitrag von Harfe16 »

Ich denke, es geht auch um Geduld und Langsamkeit beim Üben.
Dann kommt die Koordination der beien Hände irgendwann von selbst.

Hier noch ein interessanter Artikel:
https://www.nelezeidler.de/2013/01/14/e ... n-im-flow/
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Mary Greenleaf
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Re: Frage zum "Üben im Flow"

Beitrag von Mary Greenleaf »

Hallo,
der Kurs den ich zum Üben im Flow mal gemacht habe ist zwar schon etwas her, aber das wichtige daran war, dass es Üben im Flow war und nicht Lernen.
In den Flow kommt man nicht wenn man Dinge tun will, die man noch nicht kann. Genauso wenig kommt man in den Flow, wenn man Dinge tun will die zu leicht sind. Den Flow erreicht man unter einigen Voraussetzungen, die ich nicht mehr alle zusammen bekomme (ist schließlich schon über 10 Jahre her!), aber das wichtigste ist, dass man gerade an der Grenze der eigenen Komfortzone spielt oder arbeitet. Gerade so, dass man sich selbst fordert, aber nicht überfordert. Dazu gehört, dass man sich kurze Passagen aussucht, die man dann immer wieder spielt und mit verschieben der Komfortzonengrenze verlängert, bis man alles frei und ungezwungen spielen und eventuell sogar variieren kann. Dazu gehört es auch, die eigene Selbstwahrnehmung zu verändern. Man steckt sozusagen in den eigenen Fingerspitzen und schaut sich gleichzeitig über die Schulter oder auf die Hände. Man denkt dabei nicht sondern man fühlt: den Klang, die Saiten, das Holz, oder man hat das Gefühl mit den Tönen zu schweben. Das alles geht nur, wenn man sich ein Stück schon erarbeitet hat und in die reine Übungsphase einsteigt. Das heißt, dass man zu der Zeit schon die schlimmen Fehler gefunden und ausgemerzt hat, oder sich die Rhythmusfehler eingeprägt haben.
Das Hauptpublikum bei dem Kurs damals waren Orchestermusiker und Musiklehrer, die "Noten fressen" mussten, wie das damals gennant wurde. Ich als blutiger Anfänger war da etwas fehl am Platz, aber deshalb erinnere ich mich so gut an diese Voraussetzung. Es ging darum die Motivation zum Üben zu bekommen und zu erhalten, nicht zum Lernen. Wenn man die Musik die man übt genießt, macht das Üben wieder Freude und man spielt einfach schöner. Im Flow lernen geht auch nicht, weil man im Flow nicht in dieser wachen, analytischen alpha- Wellen Welt steckt, sonder so in etwa "ausgezennt" ist. Ich denke Zen ist überhaupt eine gute Analogie zum Flow. Ich weiß aber nicht, ob das damals auch so genannt wurde.
Happy harping,
Mary
"Music is the cup which holds the wine of silence.
Sound is that cup, but empty.
Noise is that cup, but broken."


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mygga
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Re: Frage zum "Üben im Flow"

Beitrag von mygga »

Was genau ist dann der Unterschied zwischen Lernen und Üben? Es geht doch darum, sich mit den technischen Möglichkeiten, die man bereits hat, Notenliteratur zu erarbeiten, richtig? Üblicherweise enthält die aber, gerade wenn man Unterricht hat, immer wieder auch Passagen, die einen technisch fordern. Sonst würde man ja ewig bei schlichten Liedchen mit Quint-Oktav-Begleitung bleiben.
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Re: Frage zum "Üben im Flow"

Beitrag von Anatker611 »

Lernen bedeutet für mich, verstehen und reproduzieren, eventuell auswendig spielen. Üben bedeutet für mich, das Gelernte ins Langzeitgedächtnis bzw. die motorischen Abläufe zu automatisieren.
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sanne
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Re: Frage zum "Üben im Flow"

Beitrag von sanne »

Nea hat geschrieben: Mo 22. Mär 2021, 17:44 Die einfacheren Schritte sollen, so verstehe ich das Üben mit dem einfacheren Beispiel, dazu führen, dass man die Angst odere anderen negativen Gefühle oder auch Ablenkung vor der schweren Stelle/dem schweren Stück überwindet, die das Lernen behindern. Das einfachere Beispiel stellt sicher, dass es so kommt.

Ich fand dieses Referat dazu (7 Saiten) recht hilfreich: https://www.musikschulen.de/medien/doks ... g08_16.pdf

Der Flow ist nur ein Mittel zum Zweck des effizienteren Übens. Die einfachere Stelle als erster Schritt soll es einem nur erleichtern, in den Flow zum kommen. Man kommt mit dem Flow selbst gezielter zum Ziel (z. B. dem Erlernen einer schweren Stelle).
Genau so ist es! :_smile_:
Und wenn man nicht allzu lange in vereinfachten Versionen bleibt, übt man sie auch nicht falsch ein.

Dieses Referat von Andreas Burzik ist sehr treffend und hilfreich.
Er spricht übrigens über Üben im Flow für alle Instrumente und seine Tipps gelten selbstverständlich nicht nur für Geiger, sondern sind ganz genauso für die Harfe anwendbar.

Konzentration, gute innere Vorbereitung und langsame Bewegungen sind dabei wichtige Kernpunkte.


Wesentliche Unterschiede zwischen "Lernen" und "Üben" sind übrigens z.B., dass beim Lernen Kognitives im Vordergrund steht und beim Üben meist Motorisches. Ich kann Noten lernen - bestimmte Bewegungen aber üben.
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