Böhmisches Harfentreffen

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Josef

Böhmisches Harfentreffen

Beitrag von Josef »

servus, liebe Leut,

am vergangenen Wochenende hat auf der Burg Velhartice in Böhmen ein Harfentreffen stattgefunden. Habe selber leider zu spät davon erfahren, sonst hätte ich es hier ankündigen können...

Zur gegenwärtigen Harfenszene in Böhmen ist zu sagen, daß sie - oder genauer gesagt, die Rückbesinnung auf die Harfe in einem Lande, das früher weltweit bekannt für dieses Instrument war - dort gerade erst einmal drei Jahre jung ist und die wenigen tschechischen Harfenspieler in ihren Anfängen stecken; insofern finde ich es tierisch erfreulich, daß sie dabei sind, ein jährliches Harfentreffen zu etablieren!

Wie mir berichtet wurde, hatte das tschechische Harfentreffen gerade mal sechs Teilnehmer, entsprechend gab es keine Kurse/Workshops, sondern lediglich gemeinsames Spielen, Stückeaustausch und dergleichen;

aber wer weiß, vielleicht wird es ja irgendwann einmal zu einem traditionellen Großereignis, auf das sich unzählige Harfenspieler freuen, so wie unser Mosenberg...?

Harfliche Grüße
Josef (der dort leider nicht dabeisein konnte)
Gast

Beitrag von Gast »

Josef hat geschrieben:Zur gegenwärtigen Harfenszene in Böhmen ist zu sagen, daß sie - oder genauer gesagt, die Rückbesinnung auf die Harfe in einem Lande, das früher weltweit bekannt für dieses Instrument war - dort gerade erst einmal drei Jahre jung ist und die wenigen tschechischen Harfenspieler in ihren Anfängen stecken; insofern finde ich es tierisch erfreulich, daß sie dabei sind, ein jährliches Harfentreffen zu etablieren!
Hallo, Josef,

wie kam es denn überhaupt dahin, daß die Harfe in Böhmen trotz ihrer langen Tradition so ins "Hintertreffen" geraten ist?

herzlich grüßt
cantanova
Josef

Beitrag von Josef »

Zum Verschwinden der böhmischen Volksharfe aus dem Böhmen des frühen zwanzigsten Jahrhunderts trugen mehrere Schlüsselereignisse maßgeblich bei:

1. Die in der tschechischen Presse seit der Jahrhundertwende eskalierende Hetzpropaganda gegen Harfenspieler, die als Weltenbummler, Bettler, Sklavenhalter und Prostituierte bezeichnet wurden (vorangetrieben u.a. durch Veröffentlichungen wie den "Ostböhmischen Sklavenhandel" von Gebauer 1906). Das degradierte die Harfe im Bewußtsein der Bevölkerung zu etwas Unfeinem, wovon man sich als anständiger Tscheche distanzieren sollte. Das führte letztendlich dazu, daß eine bis zwei Generationen nach dem ersten Weltkrieg sich die Kinder für die Musik ihrer Eltern/Großeltern geschämt haben, deren Harfen sind in Museen, auf Dachböden oder im Ofen gelandet und von den heute lebenden tschechischböhmischen Generationen weiß kaum noch jemand davon.

2. Die Revolution in Russland, die 1917 einen radikalen Schlußstrich hinter die bisher erfolgreichen Ost-Tourneen der wandernden böhmischen Harfen-Ensembles setzte, deren gute Verdienstmöglichkeiten, in Verbindung mit dem berühmt-berüchtigten tschechischen Neid von Seiten der weit weniger verdienenden Beamten in den Ordnungsämtern, nach der Hypothese von Jiri Klenha (1998) vermutlich der Hauptgrund für die Existenz der in Punkt eins genannten Hetzschriften gewesen waren.

3. Die Vertreibung der Sudetendeutschen und damit das Verschwinden der deutschböhmischen Harfenspieler der Preßnitzer Harfentradition aus Böhmen (siehe Bericht der Preßnitzerin Eveline Müller).

4. die nach dem zweiten Weltkrieg verbesserten Arbeits- und Verdienstmöglichkeiten in Ost- und Nordböhmen, die die ärmeren und sozial schwachen Bevölkerungsschichten nicht mehr länger dazu zwangen, ihren Lebensunterhalt als jämmerliche Wandermusikanten zu verdienen (was Ludvík Kunz 1974 als einzigen Grund des Verschwindens der Harfe aufführt, und - quasi im gleichen Atemzug - aus Gebauers Publikation von 1906 die Ausbeutungen der versklavten harfespielenden Jugendlichen durch ihre rücksichtslosen Kapellmeister zitiert).

Quellen:
B. Gebauer (1906): Vychodoceske otrokarstvi (=Ostböhmischer Sklavenhandel), zitiert nach Jiri Klenha 1998
Jiri Klenha (1998): Harfenictvi v Cechach (=Harfenspiel in Böhmen). Granit, Praha.
Ludvík Kunz (1974): Die Volksinstrumente der Tschechoslowakei, Teil 1, VEB Deutscher Verlag für Musik, Leipzig.
Eveline Müller: Die Musikerstadt Preßnitz. Zeitgenössischer Bericht auf http://www.pressnitz.de/Historie.htm

Harfliche Grüße
Josef
Zuletzt geändert von Josef am Fr 16. Sep 2005, 03:13, insgesamt 1-mal geändert.
Gast

Beitrag von Gast »

Hallo, liebe Harfenspieler, schon witzig... ich hatte der Jana, die so etwas wie der Kern der fast ausschließlich "keltischen" tschechischen Harfenszene ist, einen workshop für Fahrkohle in Prag oder ähnliches angeboten, mit u.a. Stücken aus dem Gebiet der heutigen Tschechei und technischen Geschichten, die besonders für die "Böhmische" Hakenharfe geeignet sind. Sie war begeistert und wollte da was anleiern. Von dem Treffen, dessen Organisator sie ist, habe ich eben erst aus dem Forum erfahren.
Ich bin verwirrt- ist vielleicht kein Interesse da, oder haben sie es einfach vergessen?
Merit
Josef

Beitrag von Josef »

hallo Merit,
ich tippe auf letzteres, verbunden mit zuwenig organisatorischer Erfahrung -vielleicht haben die sich schlicht noch nicht getraut, Deinem Angebot zuzusagen? Das Harfentreffen in Velhartice war ja bereits letztes Jahr im Herbst geplant (ich war angemeldet) und ist dann aufgrund einer Unsicherheit in der Teilnehmerzahl kurzfristig abgesagt worden. Vielleicht kommen die irgendwann aber auch auf die Idee der verbindlichen Anzahlung, die hier bei Harfenworkshops gang und gäbe ist...

Aber nachdem das Pilotprojekt nunmehr mit Erfolg gesegnet war, bin ich zuversichtlich, daß es sich etablieren wird und sie kommen bestimmt nochmal auf Dich zurück, vielleicht schon beim nächsten Mal? Ich werde nachfragen.

Es liegt meiner Meinung nach ziemlich sicher nicht an mangelndem Interesse. Die wenigen tschechischen Harfenspieler spielen nämlich nach Janas Aussage hauptsächlich deswegen "keltisches" Zeug, weil das das erste Harfenmaterial war, was sie finden konnten, da dafür ausgearbeitete (englischsprachige) Harfenschulen verfügbar sind und die Tschechen alle erstmal spielen lernen müssen, wie gesagt ist die Harfnerszene (unabhängig von den "klassisch" ausgebildeten Harfenisten in der Philharmonie) dort noch sehr jung; allerdings fühlen sie sich allmählich auch von dem ständigen irischen Zeug und synchronem notentreuen Brian-Boru-Geklimper genervt und fangen so langsam an, ihre Lieblingslieder zu zupfen. Das wird schon noch!
Harfige Grüße
Josef

(Vom diesjährigen Treffen habe ich übrigens erst erfahren, als es mir einen Tag davor in einer Mail erwähnt wurde...)
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