"Do you speak Werbung?"

Hat gar nix mit Harfen zu tun, aber du willst es trotzdem unbedingt loswerden? Dann mal los.
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Christian

"Do you speak Werbung?"

Beitrag von Christian »

Servus,
Ich wollt hier mal eine Diskussion zum Thema Sprachverfremdung eröffnen.
Was sagt ihr zu dem ganzen Kommerzwahn seit etlichen Jahren? Seid ihr von ständigen Anglizismen im Alltag genervt?


Grüße,
Christian
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Capella
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Beitrag von Capella »

Hi,

also, für mich sind das schon zwei getrennte Themen. Ja, Kommerzwahn nervt mich ziemlich. Überhaupt glaube ich da so einen Wertewandel wahrzunehmen, bei dem nur noch ökonomischer Erfolg als Qualitätsmerkmal zählt. Also Musik nur noch was taugt, wenn sie sich gut verkauft, es okay ist, Äpfel aus Neuseeland einzufliegen, solange es sich "rechnet" und persönliche Lebensqualität verstärkt am Einkommen bemessen wird. Das passt in mein persönliches Weltbild so gar nicht.

Das mit den Anglizismen ist für mich eine andere Ebene. Klar nervt mich Werbedumpfschmwampfgerede. Aber das nervt mich auf Deutsch genauso wie auf Pseudo-Englisch. Ich finde Fleckenzwerge da genauso dumpfsinnig wie Megaperls. Okay, es gibt Bereiche, wie zum Beispiel Mobilfunk, wo man ohne englisch klingende Begriffe wie "homezone" oder "flatrate" einfach nicht auszukommen scheint. Richtig peinlich werden dann so dumm zusammengesetzte Worte wie "Prepaid-Karte" oder "Volumen-Flatrate" (soweiso ein Oxymoron, wenn man es genau betrachtet). Werbedenglisch sucks . :_grin_:

Insgesamt finde ich Anglizismen aber nicht schlimm und versuche zu einer "Reinerhaltung" der deutschen oder irgendeiner anderen Sprache eher hirnrissig, denn Sprache wandelt sich und jede Generation und jede Sprechergruppe macht sich sowieso die Sprache so, wie sie sie braucht. Sprache funktioniert nach dem Pippi Langstrumpf-Prinzip ("Ich mach mir die Welt widewidde..."). Da reglementierend einzugreifen, ist nur sehr begrenzt möglich, gerade zu einer Zeit des Medienwandels, wo das Internet immer wichtiger wird und man sich viel stärker als früher über Grenzen hinweg austauscht. Und ich greife selber gerade im Computerbereich häufig zu englischen Begriffen, weil die deutschen Entsprechungen einfach weniger geläufig sind und häufig auch sehr unbeholfen und bemüht klingen.

Was mich wundert, sind Begriffe wie "Handy", das es nur im Deutschen gibt, obwohl es englisch klingt. Für Englischsprecher ist das Ding entweder ein "mobile phone" oder häufiger noch ein "cellphone". Aber das Wort hat sich durchsetzt, denn es ist kürzer und eingängiger als "Funktelefon" oder "Mobiltelefon".

Gruß,
Capella
Mohne

Beitrag von Mohne »

Hallo,

ich arbeite im technischen "Support" einer Firma, die amerikanische NLE's ("Non-Linear-Editing"-Computer - im Klartext Videoschnittmaschinen auf Rechnerbasis) vertreibt, aufbaut, begleigtet und wartet. Eventuell kennt die Firma ja jemand: Avid.

Ich kämpfe in meinen täglichen "Mails" immer mit den Anglizismen und versuche sie wo möglich zu vermeiden. Das ist nicht immer einfach, ich hatte einmal einen "Cutter" in der Ausbildung für das Programm, der riesige Probleme mit Englisch und zusätzlich mit der üblichen Computersprache (wie "Copy/Paste" und ähnlichem) hatte. Obwohl ich mir wirklich Mühe gab und immer wieder die eingedeutschten Begriffe die zum normalen Umgang mit dem Programm gehören (wie "rendern" für berechnen) erklärte, gab er nach einem Tag auf. Es war einfach zu viel.

Eine nette Begebenheit hatte ich wärend meines Praktikums in Australien, da sprach ich irgendwann gedankenlos von meinem "Handy", anstatt vom "mobile" - meine Gesprächspartnerin war begeistert, es sei ein viel schöneres Wort für das Ding...

Sprache ändert sich, keiner schreibt oder spricht wie noch vor 60 Jahren. Es ist zwar schade, dass die Geschwindigkeit zu steigen scheint und ich werde mir mit Sicherheit weiterhin Mühe geben, meine Sprache im Zaum zu halten, aber Sprache lebt nunmal. Nett ist auch das Beispiel des Fluchens: Im Klassiker "Die drei von der Tankstelle" flucht einer einmal:"Insektenjunge, gewaschener!" Auf so eine Idee würde heute doch auch keiner mehr kommen...

Gruß,
Mohne
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Reidun
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Beitrag von Reidun »

gut gesagt. Sprache lebt. Meine Französischkenntnisse helfen mir beim Englischreden übrigens sehr... woher das wohl kommt??? Wo haben denn die Anglophonen ihre Sprache her?..
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Christian

Beitrag von Christian »

Dass sich Sprache ändert, nervt mich nicht... Aber warum um alles in der Welt steht bei C&A zum Beispiel über dem Eingang: "Kids & Women Store"? Und das dazu noch im tiefsten Oberland, wo die vielen Alteingesessenen doch kein Wort Englisch können... und soweit ich weiß, handelt es sich bei C&A doch um eine deutsche Firma? :_lipsrsealed_:

Das englischschprachige Ausdrücke bei Internet und Computern unvermeidbar ist, ist klar. Doch im Alltag sollte man doch nicht direkt englische, noch nicht mal eingedeutschte Ausdrücke verwenden.

Grüße,
Christian
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Martina
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Beitrag von Martina »

Weißt du, manchmal wird irgendwo in der Marktforschung oder von Wirtschaftswissenschaftlern festgestellt, dass diese oder jene Taktik das Publikum ansprechen soll ... Und dann machen die Firmen das eben entsprechend den neuesten Erkenntnissen.

Z.B. hat "meine" Firma auch einen englischen Namen, obwohl wir im tiefsten Mecklenburg-Vorpommern sitzen und vor 15 Jahren noch in keiner Weise absehbar war, dass wir mal international aktiv sein würden.
Als allerdings in einer unserer Werbebroschüren das Wort "call" hinter der Telefonnummer auftauchte, habe ich doch darum gebeten, das zu entfernen - ich bin doch kein Call-Girl :_wink_:

Ich glaube, Firmen wollen jugendlich und vor allem weltoffen erscheinen, deswegen suchen sie "moderne" und "internationale" Bezeichungen - auch wenn das manchmal albern scheinen mag.
Fachübersetzerin für Musikinstrumente und Tontechnik http://www.martina-reime.de
Josef

Beitrag von Josef »

vor ein paar Hundert Jahren war es chic, französische Fremdwörter mit der deutschen Sprache zu mélangieren... Das résultierende Sprachsoufflé war sicherlich Grund genug für die conservatifen Puristen, sich darüber zu échauffieren, jedoch die französisch parlierende Avant-garde moquierte sich bei jeder Fête nur über die Puristen... und wer gewonnen hat, zeigt euer heutiges Vokabular (wer von euch arbeitet in einem Bureau? Und wer sagt heute noch Oheim und Muhme anstatt von Onkel und Tante?)

Mit Englisch war es anfangs auch nicht anders, wer weiß denn schon, daß heutige Alltagsbegriffe wie "Butter", "hallo" oder "Kondom" ursprünglich mal Anglizismen waren? Die Party hat die Fête verdrängt, neue Dinge sind heute nicht mehr chic, sondern in, anstatt Merde flucht man heute Shit oder Fuck, und so manch deutsches Kind nennt bereits seine Eltern Mum und Dad. Und so könnte man fortfahren...

Die Lage spitzt sich zu, dazu könnte man jetzt so manche Message quoten, Candlelightdinner bei einem Date klingt eben viel cooler als Abendessen mit Kerzenschein bei einem Treffen (früher hätte man wohl noch Rendez-vous gesagt...)
Es ist inzwischen eben echt trendy, bei jedem Lifestyle-Event in der City bei einem Bratwurstpoint über seinem Energy Drink zu brainstormen, mit welchen Gags man die Newcomer toppen kann.

Andererseits verselbständigt sich der Einfluß des vermeintlich Englischen derart, daß deutsche Neologismen bald englischer klingen als ein Native Speaker - pardon! - englischer Muttersprachler verstehen könnte.

Neben Wörtern wie Handy (Abkürzung für die schwäbische Verwunderung "Hän die koi Kabel?") bürgern sich dann so seltsame deutsche Wörter ein, wie
- Beamer (englisch: video projector)
- Body (englisch: tight fitting article of women's clothing worn during working-out)
- Box (englisch: stereo speaker)
- Catchen (englisch: professional wrestling)
- Oldtimer (englisch: vintage car)
- Showmaster (englisch: TV show host)
- Slip (englisch: briefs, knickers, panties)
- Twen (englisch: twenty-something)
- Wellness (englisch: well-being)
und viele mehr...

Den Gewinner stellt für mich allerdings die Deutsche Bahn AG dar. Beobachtet mal, wieviel überflüssiges Englisch die verwenden, nicht nur bei dem Sprachbastard "Bahncard", sondern bei auch so alltäglichen Dingen wie Ticket, Ticketservice und Stationcenter. Es ist eben nicht mehr länger chic, Fahrkarte, Schalter und Bahnhof zu sagen.

Was mir daneben auch die Augen verätzt, ist, daß sogar der Gebrauch des Deppenapostrophs (angelsächsischer Genitiv, siehe auch Apostrophitis bei Wikipedia) mittlerweile den Duden unterwandert hat. Aua! Aua! Aua! Demnächst kommt es wohl noch zu Zuständen wie auf www.deppenapostroph.de ...

Josef
Zuletzt geändert von Josef am Do 1. Jun 2006, 17:14, insgesamt 1-mal geändert.
Bini

Beitrag von Bini »

Angeblich gibt es das Wort 'Schadenfreude' nur im Deutschen - stimmt das? :_grin_:
Christian

Beitrag von Christian »

Des mim Französischn find i ned schlecht, wo ma doch sogt, dass des Boarische friara vom französischn kumt...

Das mit der Bahn stimmt... bald wirst du deine zwei Harfen wohl mit der "Train" befördern müssen... :_smile_:

Eigenartig, dass sich das Deutsche so schnell verfremdet. Wo wir doch so eine lyrische Dichterkulter sein sollen...

Schena Gruaß
Christian
Oliver

Beitrag von Oliver »

Hallo!

Ja, Josef hat das schon sehr gut beschrieben. Vor einigen Jahren noch war der Einfluss der Französischen auf die deutsche Sprache wesentlich größer als der des Englischen. Sprache ist etwas Lebendiges und ändert sich. Entschuldigung, Pardon äähhh Sorry, wie hätten Sie es denn gern? Früher hieß es Sprechgesang heute Rap. Wobei ich Zweifel habe, ob meine Oma das noch aussprechen kann, wo sie doch schon beim Wort Duplo die Buchstaben durcheinander wirft; das klingt dann wie eine Reifenfirma!

Kommerzwahn: kaum hat sich etwas als einigermaßen lukrativ gezeigt, stürmt der Kommerz darauf ein. Seit einiger Zeit zu beobachten in der Mittelalterszene. Schade, denn dabei geht häufig einiges verloren - in diesem Fall das Flair.

Und was ich mich auch immer wieder frage: Warum braucht es 25 verschiedene Waschmittel, wobei sie sowieso nur von 3 Herstellern kommen und weniger als die Hälfte vollkommen ausreichend wären?

Nach was zum Thema Werbung: Viel schlimmer finde ich die Welle von Werbung, die tagein tagaus auf uns einfällt. Ca. 15.000 Werbekontakte hat jeder im Schnitt täglich!!! Die Werbebranche denkt sich immer neue psychologische Tricks aus, mit denen sie sich in die Hirne der Menschen brennt. Man kann sich dem nur noch schwerlich entziehen. Sie ist manchmal so penetrant, teilweise sogar aggressiv, dass es mich nur noch nervt. Fernseher und Radio kann ich ausschalten, doch kann ich nicht die Augen verschließen, wenn ich durch die Stadt gehe zum Einkaufen.

So, genug gemeckert!

Oliver
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