Der Juergen hat geschrieben:
Zum einen wünsche ich mir, dass man mit dem Kunstverständnis (vulgo: "Geschmack") des anderen respektvoll umgeht und sich nicht leichtfertig über ihn erhebt.
Versuch mal, einen studierten Germanisten mit Heinrich-Heine oder Goethe-Vorliebe zu Rosamunde Pilcher zu bekehren (in dem Sinne: Das ist doch auch gute Literatur). Das würde vermutlich schwierig werden. Er kann zwar immer noch eine Flasche sein, aber vermutlich wird er genug gelesen haben, um zu wissen, was er lesen will und was nicht.
Allenfalls wirst du ihm ein "für unglücklich verheiratete Frauen erfüllt diese Literatur ihren Zweck" oder "es darf ruhig auch mal trivial sein" abverlangen können. Wirfst du ihm dann Intoleranz vor?
Genauso wenig wirst du einem Musikwissenschaftler oder Musiker Yiruma als kunstvolle Musik verkaufen können. Diese Musik hat ihre Berechtigung zur Unterhaltung (pubertierender Mädchen) oder als Filmmusik, aber nicht mehr.
Was dich vermutlich stört, ist, dass ich nicht vor jedem Satz: "Ich meine, dass..." schreibe. Aber erwartest du auch von einem Germanisten, dass er sagt: "Ich meine, dass Rosamunde Pilcher keine ernsthafte Schriftstellerin ist". So ein Satz wäre doch doof, denn das Offensichtliche muss man nicht relativieren.
Ich habe auch meine Kitsch-Ecken (z.B. meine Engelschalllöcher, mein Weihnachtsschmuck und vermutlich auch manche Einrichtungsgegenstände), aber in der Musik ist die Schmerzgrenze bei mir eben schneller erreicht. Das ist wohl bei jedem anders. Z.B. hat mir Ute im Baukurs auch gesagt, dass sie meine Schalllöcher furchtbar kitschig findet. Da war ich auch nicht beleidigt und musste sogar lachen, denn ich weiß, dass sie recht hat. Die meisten Leute, die Kitsch mögen, wissen auch selbst, dass es Kitsch ist. Wieso darf man das dann nicht offen aussprechen? Auch diejenigen, die sich Rosamunde-Pilcher-Verfilmungen angucken, glauben nicht, dass sie da anspruchsvolle Filme ansehen. Auch wenn ich mir "Die fabelhafte Welt der Amelie" trotz der Musik zum fünften Mal ansehe, muss ich demjenigen Recht geben, der mir sagt, dass das ein kitschiger Heile-Welt-Film ist. Na und?
Wenn man dann sagt, dass etwas Kitsch ist, ist es nicht gegen die Person gerichtet, die den Kitsch mag, sondern den Kitsch selbst. Ich finde ja niemand doof, nur weil er Yiruma hört. Ich kann trotzdem vor dem Menschen Respekt haben (auch wenn ich glaube, dass er sich in einem bestimmte Bereich sehr verirrt hat...). Es muss ja auch niemand mein Urteil wichtig nehmen. Aber worin du Recht hast: Ich sollte lieber darüber schweigen wie die meisten Anderen, die ähnlicher Meinung sind. Es könnte schon jemanden verletzen.
Sei bloß nicht beleidigt, weil ich den "Entertainer" zu oft gehört hab...