Schöpfungslegenden und singende Knochen

Du hast etwas schönes, ärgerliches, spannendes, trauriges mit deiner Harfe erlebt? Erzähl uns davon.
Sally

Re: Schöpfungslegende aus Japan

Beitrag von Sally »

Hallo zusammen,

habt ihr euch schon mal mit Märchenforschern unterhalten? Die lieben solchen Diskussionen auch. Auch wenn mir als Erzählerin das immer mal wieder zu anstrengend wird. Ich habe jetzt jedenfalls deine neuen Erkenntnisse weitergeleitet, Jürgen. Mal schauen, was aus der Märchen-Bibliothek noch so kommt.
Vermutlich hätte ich wieder nach "singenden Knochen" oder ähnlichem fragen müssen. (Ist jetzt wieder off topic: wir hatten in der Ausbildung ein Wochenende zur Märchenforschung. Es ist ja immer gut, wenn man weiß, wo etwas steht und wo man suchen muß. :_grin_: Ich habe nach "Binnorie" gesucht, ohne da zu wissen, wie es heißt und habe "Harfe" als Suchbegriff eingegeben. Es kamen ein paar schöne Märchen, aber nicht das, was ich gesucht habe. Also habe ich die Wissenschaftlerin gefragt und sie sagte: ganz klar, da mußt du nach "singenden Knochen" suchen. Gesagt, getan und da war es dann auch, zusammen mit diversen anderen Märchen in denen Instrumenten vorkamen, die aus Knochen hergestellt wurde, Flöten z. Bsp. oder Geigen. Auch ein spannendes Thema).

Grüße aus dem sonnigen Wuppertal
Eike
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Der Juergen
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Re: Schöpfungslegende aus Japan

Beitrag von Der Juergen »

Hallo Eike,

nein, mit Märchenforschern habe ich mich noch nicht unterhalten, da ich allgemein nicht der Märchentyp bin … :_wink_:
Binnorie, ok, das mit den zwei Schwestern oder der "cruel sister" hatten wir hier mal im Zusammenhang mit dem Pentangle-Stück.
viewtopic.php?f=9&t=2654&p=21879

Dass da die Knochen der einen zu einer "Harfe" (was sonst) werden, wusste ich noch. Übrigens war bezüglich dieser Story auch letztens "Hermeliene22" sehr interessiert und dazu suchte sie weitere ähnliche oder auch andere Mythen rund um die "Harfe" … vielleicht kann ihr ja mal jemand ne Mail schreiben, ich habe im Moment keine Zeit dafür.

Es gibt auch einen Artikel von Nancy Thym über den wir kommunizierten.
»Was willst du für dein Harfenspiel?«
Die Rolle der Harfe n Volkserzählungen
.
Leider hat der aber eher »populärwissenschaftliches« Niveau.

Bin gespannt auf die Märchenforscher, bzw. deren Aussagen zu der japanischen "Harfe".

Liebe Grüße
Jürgen
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Jürgen Steiner
Sally

Re: Schöpfungslegende aus Japan

Beitrag von Sally »

Hallo zusammen,

wünsche euch allen ein tolles neus Jahr mit viel Musik und Geschichten.

Das Pentagle-Stück kannte ich noch nicht, Jürgen. Ich meine das hier:
http://www.youtube.com/watch?v=sJMQBWBxLrs

Wobei man sich ja fragen kann, welche der beiden Schwestern die "cruel sister" ist.
Das hier eine Harfe aus der Frau wird ist nicht so üblich, im keltischen Raum vielleicht. Ansonsten sind es auch oft Flöten, von Geigen habe ich auch schon gelesen. Oder aber aus einem Teil des Baumes, der auf dem Grab wächst, wird ein Instrument. Allerdings ist das Motiv immer ähnlich. Irgendwer baut das Instrument und das erste Stück verrät den Täter.

Die erste mongolische Pferdekopfgeige ist - laut Märchen - ja auch aus Knochen gebaut worden, allerdings aus Pferdeknochen. Da gibt es auch zwei sehr schöne Geschichten zu. Schon wieder ein Geschichten-Zyklus, den man zusammen stellen könnte....

Neujahrsgrüße aus dem verregneten Wuppertal
Eike

PS: Die Märchen forscher sind natürlich noch in Ferien.
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Der Juergen
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Re: Schöpfungslegende aus Japan

Beitrag von Der Juergen »

Das finde ich wirklich interessant, denn es gibt ja auch in der tibetischen Religion eintatsächlich aus menschlichen Oberschenkelknochen gefertigtes Blasinstrument:
Das Rkang Dung:
Die mystische Seite, die dahintersteckt, ist meines Erachtens nicht weniger eindrucksvoll als die bei den »Twa Sisters«.
Aus Wikipedia:

»Blasinstrumente, die tatsächlich aus unterschiedlich kunstvoll gestalteten Röhrenknochen bestehen, werden Rkang Dung (auch Rkang Gling) genannt. Die Anblasöffnung der etwa 30 Zentimeter langen Knochen liegt am dünnen Ende und ist mit Kupferblech verkleidet. Der zeremonielle Einsatz von menschlichen Oberschenkelknochen verweist auf die Tradition der früheren schamanistischen Bön-Religion Tibets. Von tibetischen Schamanen werden die Knochentrompeten auch zur Geisteraustreibung oder zum Wettermachen verwendet. Eine traditionelle Verwendung für die Knochentrompeten war das seit dem 11. Jahrhundert praktizierte Bdud kyi gcod yul-Ritual, dessen Name sich mit „der Dämon muss ausgetrieben werden“ übersetzen lässt. Hierzu wurden als real empfundene Götter und Dämonen herbeigerufen und der eigene Körper als Speiseopfer angeboten. Die bei diesem Leidensritual, das 1929 von Alexandra David-Néel als „makabres Festessen“ bezeichnet wurde, aufkommenden Ängste sollten im Sinne der Weisheitslehre des Prajnaparamita die Erfahrung der Welt als Trugbild erkennen lassen.
Früher wurde entsprechend ihrer magischen Eigenschaften der linke Oberschenkelknochen von einem 16-jährigen Mädchen, gefolgt von dem eines gleichaltrigen Jungen, eines Mordopfers, ferner des Opfers einer schweren Krankheit bevorzugt. Als Attribut in der linken Hand von heiligen Männern ist Rkang Dung ein traditionelles Symbol der Weisheit.
«

Spannendes Thema!
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Jürgen Steiner
Sally

Re: Schöpfungslegende aus Japan

Beitrag von Sally »

Vielleicht sollte ich den Thread in "Schöpfungsmythen und Singende Knochen" umbenennen und wir bitenn Capella ihn nach "Off-Topic" zu verschieben. Vor allem, wenn jetzt auch noch Schamanismus hinzukommt. "Die Dämonen füttern" wird auch heute noch von Buddhisten praktiziert. Auch ein spannendes Thema, zu dem Tsültrim Allione ein interessantes Buch geschrieben hat ("Den Dämonen Nahrung geben").
Instrumente aus Knochen oder auch Instrumente, die den Helden im Märchen gereicht werden oder auch Musik im Märchen hat meistens mystischen, andersweltlichen Charakter. Wenn ich dazu komme, dann schreibe ich noch etwas ausführlicher dazu.

Grüße aus Wuppertal
Eike
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allessandra
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Re: Schöpfungslegende aus Japan

Beitrag von allessandra »

Oh jetzt muss ich doch auch nochmal dazukommen:

Auch wenn's lange her ist, so erinnere ich mich als ich mich im Bereich meines Studiums mit dem Vergleich europäischer und Nordamerikanischer Märchen beschäftigte, dass es bei den Märchen Nordamerikanischer Indianer ganz häufig um Knochen geht, die sozusagen die Substanz eines Menschen aufbewahren. Dh solange die Knochen noch vorhanden sind, kann die Person wider erweckt werden (auch wenn zb der gesamte Rest, also Fleischliches, vom wilden Tier verschluckt worden ist. Nach Musikinstrumenten hatte ich damals in diesem Zusammenhang nicht geschaut, aber ich würde mich wundern, wenn es da nicht auch zumindest Knochenflöten in einigen Erzählungen gegeben hätte. Lässt sich bestimmt schnell herausfinden.
Was ich spannend fand in diesem Zusammenhang war, dass die europäiache Tradition sowohl den Knochen als auch den Tiergestalten (Verwandlung in ein Tier) wenig Positivies abgewinnen konnte. Meist war es eher ein Fluch in ein Tier verwandelt worden zu sein. Und auch Knochen stellten eher etwas Abstoßendes dar. In der Erzähltradition der Nordamerikanischen Indianer waren beide Themen jedoch durchweg positiv besetzt.

Grüße,

All.
Sally

Re: Schöpfungslegende aus Japan

Beitrag von Sally »

Hi All,

mit singenden Knochen in indianischen Märchen habe ich mich noch nicht beschäftigt (oder muß es mittlerweile korrekt Märchen indigener Völker heißen?). Was die Verwandlung in Tiergestalten angeht so kenne ich mindestens ein Märchen, da wird die Verwandlung nicht positiv bewertet. Obwohl shape shifting in der dortigen schamanischen Tradition ja etwas völlig natürliches ist und auch mit Krafttieren gearbeitet wird.
In den europäischen Märchen ist die Verwandlung in ein Tier oft "einfach" der Entwicklungsweg, den der Held gehen muß. Ohne diesen Weg bekommt er am Ende die Prinzessin nicht. :_smile_:
Es gibt auch europäische Märchen, wo der Held - sobald der Mörder durch die Knochenflöte entlarft wurde - wieder erweckt wird, egal wie lange er schon tot ist. Ich glaube, ich lasse mir mal eine Aufstellung aller Märchen, in denen diese Thematik vorkommt machen.

Lieben Gruß
Eike
Mandara
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Re: Schöpfungslegenden und singende Knochen

Beitrag von Mandara »

Liebe alle,

im Folgenden möchte ich ein paar Missverständnisse und Unklarheiten bezüglich der japanischen Schöpfungsmythen und der Herkunft der kugo aus dem Weg räumen:

Die japanischen Schöpfungsmythen entstammen den beiden frühesten literarischen Aufzeichnungen Japans, dem Kojiki (古事記, wörtl. " Aufzeichnungen von alten Ereignissen") aus dem Jahr 712 und dem Nihon shoki , oder kurz: Nihongi (日本書紀, wörtl. Aufzeichnungen Japans) aus dem Jahr 720. Das Kojiki diente dazu, die Legenden über die Entstehung Japans an das eigene Volk zu vermitteln, weswegen es auch in japanischer Sprache verfasst wurde. Es war der Versuch, den Herrschaftsanspruch des Tennô durch den Verweis auf die direkte Abstammung der Kaiserfamilie zur Sonnengottheit (ACHTUNG: Man weiß nicht, ob männlich oder weiblich!) Amaterasu ômikami zu legitimieren.
Das Nihongi zählt zu den 6 Reichschroniken Japans, den rikkokushi (六国史) und wurde hingegen auf Chinesisch verfasst, um sich frei nach dem Motto "Wir haben auch eine bedeutsame Historie" vor dem hochzivilisierten China der Tang-Dynastie zu behaupten.

Die hier im Forum zitierten Quellen halte ich persönlich für sehr fragwürdig.

Einerseits findet die Schöpfung weit vor der Höhlenepisode mit Amaterasu statt. Nach einer langen Zeit, in der zahlreiche Gottheiten entstehen, erschaffen der Gott Izanagi und die Göttin Izanami die Welt, indem sie einen Speer in den Urozean stoßen, mit ihm das Wasser verquirlen und schließlich den Speer wieder aus dem Wasser ziehen. Dabei entsteht das Land. Aus der Vereinigung von Izanagi und Izanami entstehen viele andere Gottheiten, darunter auch die Sonnengottheit Amaterasu ômikami.
Viel Zeit vergeht, und nachdem der Gott Susano-o (ein böser Gesell!) die Weberin des Lichts getötet hatte, die für Amaterasu das Lichtgewand gewoben hatte, zieht sich Amaterasu erschreckt und verärgert in eine dunkle Höhle zurück, wo sie sich lange Zeit verbirgt. Damit verschwindet das Licht aus der Welt. Die anderen Götter versammeln sich vor dieser Höhle und versuchen mit unterschiedlichen Mitteln, Amaterasu wieder herauszulocken. So hängen sie verschiedene Schmuckstücke auf oder erzählen sich Geschichten, was die Neugier der Verborgenen wecken sollte. Sie führen verschiedene Rituale durch, bitten inständig usw. Von einer musikalischen Darbietung allerdings wird nichts berichtet. Was Amaterasu schließlich herauslockt: Eine Göttin macht obszöne Bewegungen, sie zeigt ihre Brüste und ihre Scham, und darüber lachen die anderen Götter. Dieses Gelächter hört auch Amaterasu in der Höhle, und neugierig kommt sie wieder heraus.

Das Kojiki und das Nihongi gibt es übrigens auch in englischer Übersetzung. Weiterhin kann ich das Buch "Die Mythen des alten Japan" von Nelly Naumann zu diesem Thema empfehlen.

Nun zum Thema Harfe in Japan: Die kugo (箜篌; auch kudaragoto (= Koto aus Kudara) genannt) ist ein Instrument, das seinen Weg von Indien über die Seidenstraße über China nach Korea fand. Der Name kugo is die japanische Aussprache der chinesischen Bezeichnung kōnghóu, und das Instrument war in Japan eher ein Kuriosum.

Im Jahre 809 kamen zwei Musikergruppen aus Korea, von denen je eine Person die kugo spielte. In den 840er Jahren fand eine Reform des Musiksystems statt, bei der die Musikinstrumente vom Festland abgeschaft wurden und damit auch die kugo.
Quelle: http://ja.wikipedia.org/wiki/%E7%AE%9C%E7%AF%8C
In der Sammlung der Schatzkammer des Tempels Tôdaiji (Shôsôin) in Nara (wo ich übrigens ein Jahr studiert habe :_wink_: ) befindet sich solch ein Instrument, das als Geschenk nach Japan mitgebracht wurde. Viele wertvolle Kunstobjekte sind aus China, Korea und dem Orient nach Japan gelangt und in dieser einmaligen Sammlung gelandet.

Bitte entschuldigt diesen extrem langen Beitrag, aber ein paar Dinge musste ich einfach klar stellen.

Viele Grüße,
Susanne
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Der Juergen
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Re: Schöpfungslegenden und singende Knochen

Beitrag von Der Juergen »

Liebe Susanne,

dickes Danke für deinen wissenschaftlich orientierten Beitrag!
Für mich könnte der gar nicht lang genug sein.

Wenn du da über noch mehr Wissen verfügst, bzw. Zugriff auf Belege für die Anwesenheit der Harfe (mit den koreanischen Musikergruppen) hast, würde ich sehr gerne teilhaben :_wink_:
Heißt denn deine Aussage, dass man davon ausgehen kann, dass es (zunächst) nur zwei Harfen der Bauart (alte*) Konghou von 809 ab gab. Alle Harfen wurden aber nach 31 Jahren wieder "abgeschafft".

Wer hat denn dieses Instrument, das sich im Shosoin-Tempel befindet, als Geschenk mitgebracht?
Hach ein spannendes Thema :_cheesy_: :_cheesy_: :_cheesy_:
:_smile_:

Herzliche Grüße
Jürgen

* Heutige chinesische Konghous sind ja keine Harfen, obwohl sie äußerlich entfernt ähnlich wie europäische Rahmenharfen aussehen.
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Sally

Re: Schöpfungslegenden und singende Knochen

Beitrag von Sally »

Hallo Susanne,

brauchst dich nicht entschuldigen. Ich mag lange Beiträge, wenn sie Dinge klar stellen. :_smile_:
Ich weiß nicht, ob du dich jetzt durch alle vier Seiten gelesen hast. Das die Harfe in dem Mythos fragwürdig ist, ist mir ja schon klar geworden. Aber irgendwann muß sie da hinein gekommen sein. Und wann das war, würde mich immer noch interessieren und auch wer sie da hinein erzählt hat. Vielleicht finden wir es ja noch heraus.

Gute Nacht
Eike
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