Fingersatz erstellen

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Fingersatz erstellen

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Inhaltsverzeichnis
1 Wozu Fingersätze dienen
2 Gibt es auch Nachteile?
3 Fingersätze selbst erstellen - ein paar Faustregeln
3.1 Die Melodiehand
3.1.1 1. Die Melodie unterteilen
3.1.2 2. Spielmöglichkeiten für Auf- und Abwärtsabschnitte finden
3.1.3 3. Über- und Untersetzen und Verbinden
3.2 Die Begleithand
3.2.1 Begleitmuster - immer das Gleiche
3.2.2 Der rechten Hand Arbeit abnehmen
3.3 Noch ein paar Tipps zum Schluss

Wozu Fingersätze dienen
Wer als Autodidakt/in mit dem Harfespielen anfängt, mag anfangs Spaß daran haben, sich mit gekrümmtem Zeigefinger Ton für Ton Melodien zusammenzusuchen. Richtig spielen kann man aber so auf Dauer nicht. Die Orientierung ist schwer (besonders bei einem Instrument mit so vielen Saiten!), schnellere Tonfolgen sind fast unmöglich, es gibt keine Ruhepausen für die Melodiehand, in denen man sich um seine Begleithand oder um Klappen kümmern kann – und vor allen Dingen: Es klingt miserabel.

Die Vorzüge eines gut durchdachten Fingersatzes hingegen sind:
  • Man kann sich leicht auf dem Instrument und im Stück orientieren.
  • Es entstehen Freiräume für Augen und Kopf, in denen man die Finger einer Hand einsetzen kann, während die andere Hand wie von allein abspielt.
  • Die Hände haben es bequem und ergonomisch.
  • Bei richtiger Handhaltung und Anschlagstechnik entsteht der optimale Klang.
  • Auswendig oder sogar blind Spielen wird ermöglicht.
Gibt es auch Nachteile?
Für viele erfahrene Harfenist/innen ist es nicht mehr nötig, Fingersätze zu büffeln, weil die Grundprinzipien, nach denen ein Fingersatz aufgebaut ist, ihnen bereits in Fleisch und Blut übergegangen ist und sie automatisch richtig greifen.

Ab einem bestimmten Spielniveau werden vorgegebene Fingersätze von manchen als einengend empfunden. In der traditionellen irischen Musik z.B. ist es üblich, bei mehreren Wiederholungen eines Melodieabschnitts unterschiedliche Verzierungen zu spielen; da kann es hinderlich sein, wenn man zu sehr am Fingersatz klebt.

Besonders für Anfänger/innen ist es jedoch wichtig, sich beim Üben an den vorgegebenen oder selbst gewählten Fingersatz zu halten.

Fingersätze selbst erstellen - ein paar Faustregeln
Dieser Abschnitt ist für Anfänger/innen gedacht bzw. für Leute, die Anfängerliteratur spielen wollen, in der der Fingersatz fehlt. Auf fortgeschrittene Techniken wie Kreuzgriffe o.ä. gehe ich hier nicht ein.

Als Beispiel hier ein traditionelles Stück aus Wales, anfängertauglich arrangiert:
Glan_Meddwdod_Mwyn.png
Glan_Meddwdod_Mwyn.png (111.76 KiB) 6933 mal betrachtet
Die Melodiehand
1. Die Melodie unterteilen
Folge mit den Augen der Berg- und Talfahrt der Melodie. Du kannst dir auch eine Arbeitskopie von dem Stück machen und darin die Stellen markieren, an denen sich die Richtung ändert. Warum ist das wichtig? Weil du Finger, die du zusammen einsetzt (quasi päckweise) anschließend mühelos abspielen können musst. Das bedeutet in der Regel, dass sich innerhalb deines "Griffpäckchens" die Richtung nicht ändern darf.

2. Spielmöglichkeiten für Auf- und Abwärtsabschnitte finden
Bei dem Stück "Glan Meddwdod Mwyn" siehst du am Anfang eine kontinuierliche Aufwärtsbewegung von 6 Noten (bis zum d). Wahrscheinlich hat aber deine Hand keine sechs Finger - du musst den Weg nach oben also unterteilen.

Z.B. so? -
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Geht, aber wenn du es schon kannst, ist es besser, die beiden 3er-Päckchen durch Untersetzen quasi in einem Zug abzuspielen.

3. Über- und Untersetzen und Verbinden
Bei der fraglichen Stelle sieht das dann so aus:
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Warum? Weil es leichter ist, als ganz neu einzusetzen, so wie es beim ersten Fingersatz der Fall ist. Du brauchst zur Orientierung eigentlich gar nicht hinzusehen: Da du den Mittelfinger neu platzierst, bevor du den Daumen abspielst, lässt sich der richtige Abstand erfühlen – natürlich mit der entsprechenden Übung.

Geht es auch so? –
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Nein, denn ab der 6. Note, dem d, geht es wieder runter. Es ist sozusagen der Berggipfel, und für den solltest du den Daumen benutzen. Dazu gleich mehr.

Es gibt noch etliche andere Möglichkeiten, z.B. so:
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oder so:
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Probier aus, was dir am ehesten liegt und was am besten klingt.

Jetzt geht es also wieder nach unten. Das d ist gleichzeitig das Ende des Aufstiegs und der Anfang des Abstiegs. An einer solchen Stelle ist es fast immer sinnvoll zu verbinden. Das bedeutet hier, dass die Finger für das nächste Päckchen eingesetzt werden, bevor du den Daumen abspielst.
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So lange es klanglich akzeptabel ist, empfiehlt es sich immer, nach Möglichkeiten zum Verbinden (bzw. Über- und Untersetzen) zu suchen!

An der Stelle, bis zu der wir bis jetzt gekommen sind, habe ich mich jedoch dafür entschieden, die Hand von den Saiten zu lösen und neu einzusetzen:
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Der Grund ist, dass sich der Ton a wiederholt. Das Lösen ist kein Muss – man sieht bei Fingersätzen in Anfängerliteratur öfter mal, dass eine Saite wiederholt mit demselben Finger angeschlagen wird. Es ist aber klanglich nicht ideal.

Jetzt geht es kurz rauf und gleich wieder runter; d.h. ich nehme wieder den Daumen für den höchsten Punkt und verbinde:
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... und löse wieder, da sich das g wiederholt:
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Die nächsten zwei Noten spiele ich also als separates Päckchen. Und auch danach setze ich neu ein, diesmal, damit man die „Atempause“ in der Melodie deutlicher hört. Außerdem habe ich dadurch die Finger frei, um bei dem sich wiederholenden Motiv denselben Fingersatz zu verwenden wie zuvor - das hilft dem Gedächtnis:
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Die Begleithand
Für die linke Hand gilt eigentlich Ähnliches wie für die rechte, besonders, wo eine Art Gegenmelodie oder zweite Stimme gespielt wird.

Bei Pop- und Folkstücken, und ganz besonders im Anfängerbereich, wird jedoch viel mit sogenannten Begleitmustern gearbeitet. Hier lohnt sich ein frühes Fingersatztraining besonders.

Begleitmuster - immer das Gleiche
Begleitmuster wiederholen sich, und zwar nicht nur innerhalb eines Stücks. Der in "Glan Meddwdod Mwyn" verwendete Quint-Oktav-Griff mit Verlängerung ist sehr häufig anzutreffen. Hier sind zwei gängige Fingersätze dafür:
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Fingersatz12.png
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Wenn du also bei unserem Beispielstück den Fingersatz für die Begleitung erstellst, solltest du Folgendes tun:

Wenn du bereits mit dem Muster vertraut bist und dir einen Fingersatz dafür antrainiert hast, verwende ihn auch hier.
Wenn nicht, probier aus, was für dich passt. Wende den Fingersatz, für den du dich entschieden hast, dann durchgängig auf das Muster an.
Die wenigen Takte, in denen sich nur drei Noten befinden statt fünf, werden übrigens mit demselben Fingersatz gespielt (4-2-1); es entfallen lediglich die beiden Noten der Verlängerung.

Der rechten Hand Arbeit abnehmen
Nicht alles, was in der oberen Notenzeile notiert ist, muss mit rechts gespielt werden (und umgekehrt). Hier ist mein Fingersatz ab Takt 11 (LH = linke Hand) :
Fingersatz13.png
Fingersatz13.png (44.33 KiB) 6933 mal betrachtet
Zwar wäre es möglich, die Arpeggien komplett mit der rechten Hand zu spielen. Das hätte aber mehrere Nachteile. Erstens könnten die Melodietöne nicht verbunden gespielt werden. Zweitens müsste man in schnellem Wechsel jeweils vier Saiten greifen, und zwar in immer neuen Kombinationen, da der oberste (Melodie-)Ton sich ja immer ändert. Drittens würde sich das Ganze nicht gut anhören.

Deshalb übernimmt die linke Hand, die ohnehin nichts anderes zu tun hat, jeweils die drei unteren Töne. Und siehe da, es müssen nur zwei verschiedene Kombinationen gespielt werden, nämlich der D-Dur-Dreiklang und die A-Dur-Umkehrung.

Noch ein paar Tipps zum Schluss
Notiere dir deine Fingersätze und achte darauf, dass du beim Üben nicht mal so, mal so spielst.
Wenn du zwischen mehreren Fingersatzmöglichkeiten schwankst, lass deine Ohren entscheiden. Der Daumen klingt anders als der Zeigefinger; Verbinden klingt anders als Lösen und Neueinsetzen; Gleiten klingt anders als Übersetzen usw.
Wenn es beim Üben einer bestimmten Stelle immer wieder hakelt, liegt es in vielen Fällen am Fingersatz. Versuch eine bessere Lösung dafür zu finden.
Abgucken: Wenn du Noten mit einem Fingersatz besitzt, mit dem du gut zurecht kommst, schau dir genau an, wie dieser aufgebaut ist.
Wenn das Stück Pausen oder langsame Stellen aufweist, versuch den Fingersatz so zu gestalten, dass das Umsetzen der Hand dort stattfinden kann.
Gestalte den Fingersatz möglichst so, dass nicht beide Hände gleichzeitig umgesetzt werden müssen. Idealerweise spielt eine Hand ab, während die andere sich neu orientiert.

Zum Beispielstück (Rechte)
Glan Meddwdod Mwyn ist ein Traditional. Dieses einfache Arrangement ist von mir (Susanne) und darf frei verwendet werden.
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