Halsform Unterschiede

cfr
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Halsform Unterschiede

Beitrag von cfr »

Hallo , ich hab mal eine Frage. Bei den Hakenharfen sehe ich sehr unterschiedliche Kurven im Hal , leicht gebogen aber auch extremer Verlauf wie bei einer Pedalharfe. Dann gibt s noch Harfen bei denen es einen deutlichen Sprung der Stegwirbel beim uebergang auf die untere Oktave gibt Teifi eos zb, dann Riedel Anababel mit deutlichem Bogen und andere nur leichte gebogen Haelse.

Ich verstehe das nicht, die Saitenlängen sind doch fest und wieso sehen die dann die Kurvenverlauefe so unterschiedlich aus??Gruesse
Carsten
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Karsten
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Re: Halsform Unterschiede

Beitrag von Karsten »

Hallo cfr ohne richtigen Namen!
Saitenlängen bei Harfen sind keineswegs fest oder fix und es gibt auch keinen Standard für eine bestimmte Saitenmensur!

Die Harmonische Kurve orientiert sich an der Bruchgrenze eines Saitenmaterials - ist also abhängig vom Ton, der Zugspannung, dem Saitenmaterial, dem Durchmesser der Saite, dem Standort auf der Erdenscheibe (Erdanziehung!) und dem jeweiligen Klangpotential des eingesetzten Saitenwerkstoffes.
Kurz gesagt wird ein Harfenbauer immer versuchen die Saiten im Diskant so lang wie möglich gestalten, damit noch ein klarer und schöner Ton von der schwingenden Saite moduliert werden kann. Wenn die Saite aufgrund der Reissgrenze des Materials nicht länger werden kann, muss eben der Wirbelstock dieser Grenze mit einer Kurve folgen. Ab etwa dem eingestrichenen c bis tiefer zum Bass gilt die "grobe Regel" dass der Klang umso voller und besser wird, je länger die Saite ist (auch hier natürlich in Grenzen).
Der im Bass manchmal nach unten versetzte Abgriff der Saiten kann entweder etwas mit dem Design und der persönlichen Note zu tun haben oder man verwendet ein vorgegebenes (umsponnenes) Saitenmaterial und passt dadurch die Zugspannung an.
Zuletzt geändert von Karsten am So 20. Feb 2022, 21:14, insgesamt 1-mal geändert.
Andi
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Re: Halsform Unterschiede

Beitrag von Andi »

Dem Standort auf der Erdenscheibe??
Wie ist das gemeint? Theoretisch vielleicht?

Kann mir kaum vorstellen, dass die Erdbeschleunigung einen praktischen Einfluss hat, wie der Hals am Schluss aussehen wird (zwischen Äquator und Pol unterscheidet sie sich gerade mal um 0,5 %).
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bastian
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Re: Halsform Unterschiede

Beitrag von bastian »

Au ja! Au ja! Das schreit nach einem kleinen mathematischen Vortrag.

Dahinter steckt nämlich reine Mathematik. Also, willst Du hinter das Geheimnis der Halskurve kommen, kommst Du um Mathe nicht drumherum.

Ursprung des Geheimnisses ist die Taylor'sche Formel:
taylor.JPG
f ist die Schwingungsfrequenz (also die Tonhöhe)
l ist die Länge der Schwingenden Saite

F,m usw. vernachlässigen wir jetzt erst mal, das kommt später wieder dazu. Aber fürs erste Verständnis lassen wir das mal weg. Dahinter verstecken sich Material, Zugkraft, Saitendurchmesser...

Nun wissen wir: Pro Oktave verdoppelt sich die Frequenz.

Gesetzt, der Rest wäre konstant (also Material, Saitenzug, Saitendurchmesser....) müsste sich nach obriger Formel die Saitenlänge pro Oktave verdoppeln:
Exponentiell.png
Man sieht schon die typische Kurvenform.


Jetzt ist die Klangdecke einer Harfe aber nicht waagerecht, sondern schräg. Also verzerren wir die Grafik ein bisschen:
exponentiell schräg.png
Sieht doch schon ganz schön harfig aus.

Aber was hat das jetzt mit der ursprünglichen Frage zu tun? Ganz einfach. Gucken wir uns doch mal den Ausschnitt dieser Kurve für eine Harfe mit drei Oktaven Tonumfang an:
low and high.png
Warum einmal rot und einmal blau? Ganz einfach: Wir erinnern uns, dass wir F und m vorhin vernachlässigt haben. Diese beiden legen aber fest, wo unsere Harfe auf der Kurve absolut verortet ist. Da hat der Harfenbauer Spielraum. Sowohl die rote Harfe als auch die blaue Harfe haben einen Unfang von drei Oktaven, aber durch unterschiedliche Festlegungen des Saitenmaterials, der Zugkraft der jeweiligen Saite etc. würde der Brite das eine als low headed harp, das andere als high headed harp bezeichnen.

Klar soweit?

Jetzt müssen wir noch die typische Pedalharfenform erklären, warum der Bogen am unteren Ende der Harfe also wieder runter geht. Das ist mit den Kurven oben ja nicht zu erklären. Damit Harfen mit großem Tonumfang noch in ein Auto oder durch eine Tür passen, greifen die Harfenbauer zu einem Trick: die machen die Saiten nach unten hin immer dicker. Auch dadurch wird der Ton tiefer, ohne dass die Länge zunehmen muss. Dadurch flacht sich die Kurve dann wieder ab:
pedal.png


Bleibt die Frage nach dem "Sprung", den man bei einigen Harfen sieht. Dafür ist ein Materialwechsel verantwortlich. Beispielsweise Nylon für die Höhen und Mitten, umwickelter Stahl für die Bässe. Auch dadurch (Stahl ist schwerer als Nylon) verkürzt sich die Harfe am unteren Ende. Man kann das jetzt durch die Wahl der Durchmesser so gestalten, dass der Materialwechsel nicht so auffällt. Dann hat man keinen sichtbaren Sprung. Oder man sagt: "Ist mir optisch egal", dann kann man anders klanglich optimieren. Aber man bekommt eben einen Sprung. Auch hier hat der Harfenbauer Spielraum.

War das soweit verständlich? Muss man nach Mathe ja immer mal fragen...

Spannende Frage übrigens, die wir so hier noch nie diskutiert haben.

Viele Grüße,
Sebastian
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Re: Halsform Unterschiede

Beitrag von Karsten »

Sehr gut und anschaulich erklärt Basti!

Ohne jetzt noch einmal tiefer in Mathe einzusteigen, ist die Erdanziehung auch für die praktische Berechnung von Relevanz.
Da die Erde nicht rund ist sondern mehr so einer Kartoffel gleicht, ist eine in Japan gebaute und klanglich optimierte Harfe in Deutschland eben nicht mehr so optimal. Die Frage wie groß der Anteil an der Gesamtrechnung ist, spielt soweit keine Rolle, als dass man natürlich bei der Saitenberechnung erst einmal möglichst alle Faktoren einberechnet, bevor man am Ende bei der Auswahl der vorkonfektionierten Saitendurchmesser wieder ungebau wird. Die Frage ist dann bei der Auswahl beispielsweise aber, nehme ich eher die Saite mit 0,97 mm Durchmesser oder die Saite mit 0,94 mm Durchmesser und diese 0,03 mm können tatsächlich klanglich entscheident sein.

Nachtrag: Ein Part für die Berechnung habe ich noch vergessen -> Luftfeuchtigkeit. Die kann sich sowohl im Saitenmaterial einlagern (Darm) oder auusen an der Saite haften. Bedeutet dass die Saite schwerer wird und man die Harfe etwas abwärts stimmt. Dadurch passt die ideal berechnete Saitenspannung und die "gefühlte Saitenkraft" als Rückmeldung an die Finger nicht mehr.

Saitenberechnung ist sehr komplex und Vielschichtig.

Frohe Grüße, Karsten
Andi
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Re: Halsform Unterschiede

Beitrag von Andi »

ist eine in Japan gebaute und klanglich optimierte Harfe in Deutschland eben nicht mehr so optimal.
Jetzt bin ich aber verwirrt. Die Masse der Saite ist doch in Japan oder in Deutschland die gleiche. Nur die Gewichtskraft ändert sich.

Hab natürlich auch in der Wiki geschaut, aber irgendwie erscheint mit das Formelzeugs unschlüssig. Im Weltraum ohne Erdbeschleunigung würde Division durch 0 auftreten. Weiterhin ist "s" - wenn man sich die Einheiten anschaut - nicht wie angegeben das Spezifische Gewicht (Wichte) sondern die Dichte.

Bild

Muss mir das mal in Ruhe anschauen. Vielleicht ist es auch einfach schon zu spät am Abend! :_grin_:
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bastian
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Re: Halsform Unterschiede

Beitrag von bastian »

@ Andi: Meines Erachtens dient das g in der Formel in der Artikelsammlung der Umrechnung von kg in Newton. Hab aber jetzt gerade keine Zeit, das einmal durchzurechnen. Wenn Du einen Fehler findest, schreib mir.
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Re: Halsform Unterschiede

Beitrag von cfr »

Also das ist mal ne Erklaerung mit der ich etwas anfangen kann. Sehr interessant Vielen Dank. Daher kommt dann auch wohl die Problematik Saiten zuwechseln von Nylon auf Darm oder Carbon, dann past eventuell die Kurve nicht mehr perfekt.

Cfr Carsten
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Jonny Robels
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Re: Halsform Unterschiede

Beitrag von Jonny Robels »

Ihr seid Nerds! :_wink_: :_grin_: :_grin_:
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Re: Halsform Unterschiede

Beitrag von cfr »

da ist doch was Gutes ! schon irre was in so einem altem Instrument drinsteckt, wie die das wohl ohne Computer hinbekommen haben........wenn man jetzt Musiktheorie mal in normaler Sprache erklären könnte wäre ich richtig happy.....aber das gehört hier nicht hin.
Carsten
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